Donnerstag 21. September 2000, 12:40 Uhr BR - Sendung |
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Tod auf der Wies'n / Das
Oktoberfest-Attentat von 1980
München (ots) -
Bayerisches Fernsehen / Dienstag, 26. September 2000, 23.05
Uhr / 20. Jahr nach dem Wies'n Attentat: Verbrechen mit vielen
Unbekannten
Ein Film von Bernd Niebrügge und Arndt Wittenberg
Der Tod kam genau um 22.19 Uhr. Am Haupteingang zum
Oktoberfest detonierte eine Bombe: 13 Menschen starben, mehr als
200 wurden schwer verletzt.
Es ist Freitag, der 26. September 1980, neun Tage vor dem
Ende des Bundestagswahlkampfes zwischen Helmut Schmidt und
seinem Herausforderer Franz Josef Strauß. Der Terror-Anschlag
wird schnell zum Wahlkampfthema. Kaum einen Tag nach dem Blutbad
ist klar: Der Attentäter Gundolf Köhler, bei der
Bombenexplosion selbst ums Leben gekommen, war zeitweise Anhänger
der rechtsextremistischen "Wehrsportgruppe Hoffmann".
Die "Sonderkommission Theresienhöhe" und die
Generalbundesanwaltschaft ermitteln fieberhaft: Verdacht auf
eine terroristische Gruppentat mit rechtsradikalem Hintergrund.
Nach zwei Jahren werden die Akten geschlossen mit dem Ergebnis:
Der Bombenleger Gundolf Köhler war ein verwirrter Einzeltäter.
Doch auch nach 20 Jahren bleiben Zweifel: Noch immer ist nicht
bewiesen, daß der Rechtsradikale den Anschlag tatsächlich
allein verübt hat. Bernd Niebrügge und Arndt Wittenberg haben
nach 20 Jahren noch einmal die Spurensuche aufgenommen. Sie
haben Opfer, Zeugen und Ermittler zu einem Attentat befragt, das
vielleicht noch immer ungesühnt ist.
ots Originaltext: Bayerischer Rundfunk Im Internet
recherchierbar:
http://recherche.newsaktuell.de
Kontakt: Bayerischer Rundfunk Pressestelle Susanne Seeberger
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SZ
vom 26.09.2000 München
Die
falsche Zeit, der falsche Ort
Vor 20 Jahren explodierte die Bombe auf der Wiesn – für die Überlebenden
ist es, als ob es gestern gewesen wäre / Von Wolfgang Görl
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Wenn
sie nur etwas schneller gegangen wären. Oder etwas langsamer.
Oder wenn sie einen anderen Weg gewählt hätten. Gar keine große
Abweichung, nur ein paar Meter abseits der Route, die sie am 26.
September 1980 genommen hatten. Wie anders wäre ihr Leben
verlaufen.
Gewiss hätte Karin M. einmal Amerika besucht – New
York sehen, Kalifornien, den Pazifik. Oder Dimitri L.: Vielleicht
wäre er noch immer Automechaniker wie damals, als er an dem lauen
Freitagabend mit Kollegen auf die Wiesn ging. Oder die Familie P.:
Müsste nicht ewig trauern um die toten Kinder. Die achtjährige
Ilona und ihr kleiner Bruder Ignaz – sie wären jetzt erwachsen,
hätten Kinder vielleicht. Nicht zu vergessen all die anderen,
deren Abend genau so verlaufen war, dass sie gegen 22.19 Uhr das
reisig-geschmückte Haupttor der Wiesn passierten.
In dieser Minute explodierte die Bombe. Ein Zischen, die Feuersäule,
die Druckwelle, herumfliegende Metallteile. Leiber wurden
zerfetzt, Gliedmaßen weggerissen. Dreizehn Menschen waren tot,
211 verletzt. „Jeder läuft in sein Schicksal hinein“, sagt
Katharina P. Sie hat 18 Bombensplitter im Körper. Auch jetzt
noch, nach zwanzig Jahren. Die Milz war zerfetzt, Metallteile
hatten Leberrand und Magen durchschlagen. Nicht alle Splitter
konnten die Ärzte entfernen. „Deswegen hab’ ich Krebs
gekriegt“, sagt sie. „Ich bekomm’ Chemotherapie; sechs
hab’ ich schon hinter mir.“
Und was noch schlimmer ist: Ilona und Ignaz, ihre Kinder, sind
tot. Katharina P. zieht zwei Fotos aus der Tasche, die schon etwas
abgegriffen sind, die Farben verblasst. Ein Mädchen ist da zu
sehen, das stolz in die Kamera blickt, in den Armen eine Schultüte,
verziert mit einer gelben Comic-Ente. „Ihr erster Schultag.“
Katharina P. weint. Das andere Bild zeigt Ignaz bei einer Müll-Sammelaktion
der katholischen Gemeinde: ein Dreikäsehoch mit einem lustigen
Gesicht, der einen großen Plastikbeutel hinter sich herschleppt.
Katharina P. hat noch ein Foto von den beiden. Eines, das im
Urlaub aufgenommen wurde, wenige Monate vor dem Massaker. Später
hat sie es vergrößern lassen, Posterformat, und das Bild in den
Flur gehängt. „So seh’ ich sie jedesmal, wenn ich heim komme.
Sie sind immer bei mir.“
Ignaz P., der Vater der Kinder, wohnt schon lange nicht mehr bei
ihr. Die Ehe ist gescheitert, beide sagen wegen des Attentats. Der
verdammte 26. September! Eigentlich wollte Ignaz P. nicht aufs
Oktoberfest. Wollte lieber am Auto herumbasteln, das er gerade
gekauft hatte. Aber die Kinder gaben keine Ruhe. Robert und
Wilhelm, die ältesten Söhne, Tochter Elisabeth und die beiden jüngsten:
Ilona und Ignaz, der gerade mit der Schule begonnen hatte.
„Komm, Papa, fahren wir.“ Der Vater ließ sich erweichen.
Alle, auch die Mutter, zogen los. Es war ein fröhlicher
Wiesnbummel. Die Kinder sind Karussell gefahren, Geisterbahn,
Flieger und dies und das. Vor dem Heimweg haben die Eltern noch
etwas zu essen gekauft. Hendl und Brezn. „Und meine Kinder haben
noch Luftballons gekriegt“, sagt Ignaz P. Wenn er jetzt darüber
redet, kommt er häufig ins Stocken. Muss unterbrechen, sich
sammeln. „Wir kommen zum Ausgang hin. Und dann . . . ich kann
mich bloß an eins erinnern: Da war ein greller Schein, ein Feuer,
wie wenn man eine Rakete hochschießt – und dann war ich weg.“
„Papa,
mir ist kalt“
Ignaz P. ist durch die Luft geflogen, mindestens zehn Meter. Er
kam bald zu sich, konnte aufstehen. Stille. Er hörte nichts mehr.
Das Trommelfell war geplatzt. „Es war wie in einem utopischen
Film. Wie im Weltraum – du hörst nichts, kannst nicht
sprechen.“ Sein erster Gedanke: Wo sind die Kinder, wo ist meine
Frau? Und wo vor allem sind die beiden Jüngsten? Er hatte den Arm
um sie gelegt, war mit ihnen gegangen. Links Ilona, rechts Ignaz.
„Den ersten, den ich gefunden habe, war der Ignaz. Ich hab’
ihn hochgehoben, und er hat gesagt: ,Papa, mir ist kalt.‘ Auf
einmal war einer da und hat ihn mir weggenommen.“ Wahrscheinlich
ein Sanitäter. „Dann bin ich zu einem Standl hingekommen, Bratwürstl
hat der gehabt. Da war mein Mädel, irgendwie so drangelehnt.“
Ilona. Die Bombe hatte ihr den Bauch aufgerissen. „Dann sagt
sie: ,Papa, hilf mir doch, es tut so weh.‘ Und ich konnt’ ihr
nicht helfen. Sie ist dann auf meinem Schoß gestorben. Hat die
Augen zugemacht.“
Wie in Trance ist Ignaz P. über das Pflaster getorkelt. Überall
Blut, Tote, Verletzte – die Hölle. Er hat seine Frau gefunden,
die beiden älteren Söhne. Alle waren schwer verletzt. Nur
Elisabeth, die Tochter, war verschwunden. Sie ist umhergeirrt,
ebenfalls mit schweren Verletzungen, und später ins Krankenhaus
gebracht worden. Irgendwann war Ignaz P. allein. „Ich hab’
mein Auto geholt. Wie ich aus der Tiefgarage herausgekommen bin,
weiß ich nicht. Und wie ich heimgefahren bin, auch nicht. Ich
hab’ immer überlegt. Ich weiß es nicht.“
Später hat er erfahren, das auch Ignaz tot ist. Ein
Metallsplitter hatte seinen Kopf durchschlagen. Katharina P. hat
die Stichflamme nicht gesehen. Nur einen Knall hat sie gehört und
gedacht, ein Luftballon sei geplatzt. Sie hat einen Schlag gegen
die Brust gespürt und lag am Boden. „Plötzlich war alles grau,
wie im Nebel.“ Schmerzen spürte sie keine, aber das Atmen fiel
schwer. Blut lief über ihren Körper. Sie kam ins Krankenhaus,
mehrere Notoperationen waren nötig. Erst Wochen später wagte
man, ihr den Tod der beiden Kinder mitzuteilen. „Da waren die
schon lang unter der Erde.“
Mehr als ein Jahr dauerte es, bis sie halbwegs gesund war. Aber
was heißt schon gesund: Ilona und Ignaz waren tot, die drei älteren
Kinder fürs Leben gezeichnet, die Familie brach auseinander. Vor
sechs Jahren starb Elisabeth. Sie hat Drogen genommen. Zwei Kinder
hatte sie, um die sich jetzt Katharina P. kümmert. Sie versorgt
auch die beiden Kinder, mit denen einer ihrer Söhne überfordert
war. „Er schafft das nicht mehr“, sagt sie. „Die Enkel sind
jetzt mein Leben.“ Unaufhörlich fingert sie mit der Brille
herum, dreht und wendet sie, wickelt das Halteband ums Gestell.
Die Hände sind zittrig. Manchmal ist das Unglück so groß, dass
es zu viel ist für ein Leben.
Katharina und Ignaz P. glauben nicht an die Theorie, der 21-jährige
Geologiestudent Gundolf Köhler aus Donaueschingen habe die Bombe
allein gebaut und gezündet. Sie sind nicht die einzigen, die
Zweifel haben. Der Münchner Journalist Ulrich Chaussy hat in
seinem Buch „Oktoberfest. Ein Attentat“ und jüngst im
Bayerischen Rundfunk Rechercheergebnisse präsentiert, welche die
offizielle Version mit guten Gründen in Frage stellen.
Die „Sonderkommission Theresienwiese“ des Bayerischen
Landeskriminalamts war zu dem Schluss gekommen: „Nach dem jetzt
vorliegenden Ermittlungsergebnis ist festzustellen, dass Gundolf Köhler
allein als Attentäter gehandelt hat.“ Doch es gab Zeugen, die Köhler
vor dem Attentat in Begleitung anderer gesehen haben wollen. Von
zwei Männern in Parkas ist die Rede, mit denen er auf der
Verkehrsinsel vor dem Haupteingang debattiert habe; auch von einem
Mann, der im Moment der Explosion geflüchtet sei; dann das merkwürdige
Gespräch, das eine Frau nach dem Anschlag in Tatortnähe mitgehört
hat.
„Ich wollt’s nicht, ich kann nichts dafür, bringt’s mich
um“, rief da einer. Und wo ist der Koffer, den Köhler angeblich
mit sich hatte? Lauter Rätsel, die zu lösen die Polizei bald
aufgegeben hat. Chaussys Fazit lautet: „Entgegen der allgemeinen
Meinung ist der Fall Oktoberfestattentat ungelöst.“
Damals war Wahlkampf in Deutschland, die letzten Tage vor der
Entscheidung. Der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß wollte
Bundeskanzler werden, Helmut Schmidt (SPD) entmachten. Strauß
stand für Law and Order, für einen harten Kurs gegenüber dem
Linksterrorismus. Gleich nach dem Wiesn-Attentat – Strauß
vermutete linke Täter – ging er auf den liberalen Innenminister
Gerhart Baum los: Baum, der mit dem RAF-Anwalt und Ex-Terroristen
Horst Mahler im Spiegel ein Streitgespräch geführt hatte, habe
„schwere Schuld“ auf sich geladen, verharmlose den
Terrorismus, demoralisiere die Sicherheitskräfte.
Kontakte
zur Wehrsportgruppe
Die Union glaubte, einen Wahlkampfschlager zu haben. Damit war es
vorbei, als sich herausstellte, dass der mutmaßliche Attentäter
im rechten Milieu verkehrte. Bei der rechtsextremistischen
Wehrsportgruppe Hoffmann, die schwer bewaffnet in Wäldern und
Fluren den Partisanenkrieg probte, hatte Köhler mehrmals
paramilitärische Übungen mitgemacht; sogar eine selbstgebaute
Handgranate hat er dort gezündet.
Ausgerechnet die Truppe des Nürnberger Wehrsportgruppenführers
Karl-Heinz Hoffmann stand jetzt im Verdacht, am Anschlag auf das
Oktoberfest beteiligt gewesen zu sein – extrem peinlich für
Strauß und seinen Innenminister Gerold Tandler, die den
neonazistischen Kampfbund vor dem Attentat als ein paar harmlose
„halbverrückte Spinner“ abgetan hatten. Ulrich Chaussy hat in
seinem Buch dargelegt, dass die Ermittler von einem bestimmten
Zeitpunkt an bemüht waren, Köhler als Einzeltäter hinzustellen.
Ob sie dabei Einflüsterungen aus der Politik folgten? Nachweisbar
ist es nicht. Gundolf Köhler konnte niemand mehr befragen. Der
mutmaßliche Attentäter stand im Augenblick der Detonation direkt
vor dem Abfallkorb, in dem die Bombe lag. Die Explosion hat seinen
Körper zerrissen. Einem Stahlgewitter gleich fegten die
Metallsplitter über den Platz.
Eines der Geschosse traf Karin M. Zerschlug ihr Sprunggelenk, riss
fürchterliche Wunden. Sie war auf dem Heimweg gewesen, zusammen
mit Freunden, die ebenfalls verletzt wurden. Den Knall, der ihr
Trommelfell zerriss, hat sie noch gehört.
„Dann lag ich da und war wie weggetreten. Keine Schmerzen, aber
ich konnte nicht aufstehen.“ Was folgte, waren zwölf Monate
Krankenhaus, zehn Operationen, zwei Jahre mit Gipsbein und Krücken.
„Auf einmal lief mein Leben anders.“ Kein Sport mehr, kaum
Theater oder Kino, weil der Fuß anschwillt, wenn sie länger
sitzt. Gerne wäre sie einmal nach Amerika geflogen, aber sechs,
sieben Stunden im Flugzeug – unmöglich. Sie zieht keinen Rock
mehr an, weil die Narben so schrecklich aussehen. Ins Schwimmbad
geht sie auch nicht. „Anfangs wollte ich vor lauter Komplexen
nicht mehr aus dem Haus. Am liebsten wäre ich im Krankenhaus
geblieben.“ Karin M. ist heute 55 Jahre alt. Ihren Beruf als
Sekretärin übt sie nicht mehr aus. Sie ist 60 Prozent
schwerbehindert, erhält eine kleine Rente. Anfangs hatte sie
Depressionen, verfiel in Grübelei: „Warum ausgerechnet ich?“
Sie hat eine Antwort gefunden: „Schicksal.“
Dimitri L. sagt: „Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort.“
Und er sagt auch: „Entweder man akzeptiert das oder man geht zu
Grunde.“ Dimitri L., 37, hat es akzeptiert, dass von seinen
Beinen nur noch Stümpfe übrig geblieben sind; dass er seit fast
20 Jahren im Rollstuhl sitzt; dass er ein völlig neues Leben
beginnen musste. Er hat es gepackt. Sogar das Oktoberfest scheut
er nicht mehr – seinem Sohn zuliebe, der so gerne hingeht.
Selbstverständlich ist auch Vicky dabei, seine Frau, die er vor
dreizehn Jahren geheiratet hat. Sie haben sich auf der
Berufsschule kennen gelernt, wo Dimitri L. auf Zahntechniker
umschulte. Zahntechniker – etwas mit den Händen machen,
schnitzen, biegen, tüfteln, „das hat mir gleich Spaß gemacht,
als ich es ausprobierte“. Er musste etwas Neues lernen nach dem
Attentat. Als Kfz-Mechaniker weiter zu machen, war unmöglich.
Wie
Starkstrom
Gabi, seine damalige Freundin, war an dem Abend auch auf dem
Oktoberfest. Sie wollte ihn zum Taxistand begleiten und dann
wieder zurückgehen. Wollte mit ihren Arbeitskollegen feiern. Gabi
stand neben ihm, als die Bombe hochging. Sie hat die meisten
Splitter abbekommen. Wochen später erfuhr Dimitri, dass seine
Freundin tot ist. Sie war 17 Jahre alt, wie er. Als er dalag,
nachdem vier Meter neben ihm die Bombe detoniert war, hatte er für
einen Moment das Gefühl, als wäre Starkstrom durch seinen Körper
gefahren. An seiner Seite kniete jemand und versuchte, ihn zu
beruhigen. „Ich hab’ gar nicht gewusst, was der von mir will.
Ich hab’ mich gut gefühlt, mir hat nichts weh getan.“ Erst
als er aufstehen wollte, merkte er, dass die Hose zerfetzt war und
Blut floss. Allmählich kamen Schmerzen auf, Angst. Dann der
schreckliche Moment, als ihn die Sanitäter auf die Trage heben
wollten. „Der eine hat mich unter den Armen genommen, und der
andere wollte mich an den Füßen hochheben. Dabei sind die Beine
wie ein Gummiseil durchgehängt.“
Später hat er das Bewusstsein verloren, in den kurzen lichten
Momenten meldete sich Panik. Die erste Operation war nötig wegen
der Splitter, die den Darm durchschlagen hatten. Erst danach
konnten sich die Ärzte den Beinen widmen. Sie versuchten zu
retten, was zu retten ist. Sie nahmen erst die Füße ab; als das
nichts half, ein Stück unterhalb des Knies, und so weiter.
Dimitri L., in künstlichen Schlaf versetzt, hat nichts davon
mitbekommen. Einmal, im Dämmerzustand, bekam er einen Wutanfall.
Schlug wie verrückt um sich. Wie einer, dem das Schicksal grausam
mitgespielt hat.
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http://home.t-online.de/home/boa-kuenstlerkooperative/n0009260.htm
Oktoberfest-Attentat
Zwanzig Jahre danach.
Starke Zweifel an der Einzeltäter-Theorie
Vor genau 20 Jahren, am 26. September 1980 um 22.19 Uhr, explodierte
auf dem Wiesengelände des Münchner Oktoberfestes die mit 1,39
Kilogramm TNT gefüllte Mörsergranate des Neonazis Gundolf Köhler.
Zwanzig Menschen fanden dabei den Tod, 211 wurden zum Teil schwer
verletzt. Der Münchner Autor und Journalist Ulrich Chaussy meldet begründete
Zweifel an der Einzeltäterschaft Köhlers an. Eine Demonstration
erinnert heute in München an das Wiesn-Attentat.
Di. 26.09.00 - Der größte faschistische Terroranschlag der deutschen
Nachkriegsgeschichte traf am 26. September 1980, eine ahnungslose,
ausgelassene Menschenmenge. Es war Freitag und es herrschte Hochbetrieb
auf der Münchner Wiesn, als um 22.19 Uhr die Bombe des 21-jährigen
Geologiestudenten Gundolf Köhler aus dem schwäbischen Donaueschingen
dreizehn Menschen in den Tod riss und 211 zum Teil schwer verletzte.
Unter den Toten befand sich auch Köhler selbst. Er war Anhänger der
neonazistischen Wehrsportgruppe Karl-Heinz- Hoffmann, die schwer
bewaffnet in Wäldern und Fluren den Pratisanenkrieg probte. Köhler
hatte bei diesen paramilitärischen Übungen mitgemacht, sogar eine
selbstgebaute Handgranate hat er dort gezündet. Auch zu anderen
rechtsextremen Organisationen und Personen hatte er Kontakt.
Das Attentat ereignete sich mitten in der Wahlkampfzeit. Der damalige
bayerische Ministerpräsident und Bundeskanzlerkandidat der
Unions-Parteien, Franz Josef Strauß (CSU), sprach noch am Tatort in die
Mikrofone: Dies sei das Werk von "linken Terroristen". Sehr
schnell stellte sich jedoch die Täterschaft von Gundolf Köhler und
dessen neonazistischer Hintergrund heraus. Am 28. September erklärte
der bayerische Innenminister Gerold Tandler: "Alle Ermittlungen
sprechen dafür, dass die Angehörigen der Wehrsportgruppe Hoffmann
schuld sind an diesem Massenmord auf der Wies'n." Einen Tag später
erklärte derselbe Minister: "Es gibt nicht den geringsten Anlaß
zu glauben, dass es sich hier um eine Tat gehandelt hat, die von der
Wehrsportgruppe Hoffmann vorbereitet, organisiert und durchgeführt
wurde." Und weiter: "Köhler war ein Einzeltäter."
Acht Monate nach dem Bombenanschlag legte die Sonderkommission
"Theresienwiese" des Bayerischen Landeskriminalamtes ihren
Schlussbericht vor: Köhler soll die Bombe selbst gebaut, transportiert
und gezündet haben. Die Akten wurden geschlossen und die
"Ermittlungen gegen unbekannt " beendet. Der "Stern"
berichtete: "In den 57 Aktenbänden, die die Sonderkommission
'Theresienwiese' zusammengetragen hat, gibt es in der Tat genügend
Hinweise auf mögliche Mitwisser und Mittäter Köhlers. Aber anstatt
diesen Spuren nachzugehen, wurde geschlampt. Aussagewillige Tatzeugen
wies die Polizei ab: 'Die Täter sind schon bekannt.' Fotos von
Rechtsextremisten und Verdächtigen aus der Umgebung Köhlers wurden den
Augenzeugen häufig gar nicht vorgelegt.
Die Polizei unterließ es auch, mit den sonst üblichen
Phantomzeichungen von Verdächtigen in die Öffentlichkeit zu gehen.
Alibis wurden nachlässig überprüft und Hausdurchsuchungen bei Verdächtigen
zum Teil mit wochenlanger Verspätung angeordnet."
Auf der Grundlage des vom Bayerischen Landeskriminalamtes vorgelegten
Schlußberichts stellte Generalbundesanwalt Kurt Rebmann Ende 1982 die
Ermittlungen offiziell ein und führte zum Hintergrund des Anschlags
aus: Wahrscheinlicher als eine politisch motivierte Tat seien schwere
persönliche Krisen.
Der Hartnäckigkeit antifaschistischer Initiativen war es schließlich
zu verdanken, dass die Bundesanwaltschaft sich noch einmal mit dem Fall
befasste. Allerdings waren die Ermittler wieder die selben: Im Auftrag
der Bundesanwaltchaft überprüfte das Bayerische Landeskriminalamt ab März
1984 sich selbst und kam vier Monate später erwartungsgemäß zu dem
Ergbnis, nichts übersehen zu haben. Die Einzeltäter-Theorie wurde
weiter aufrechterhalten, nach der Köhler weder Mittäter noch Mitwisser
gehabt haben soll.
Der Münchner Autor und Journalist Ulrich Chaussy meldet nun in seinem
gerade erschienen Hörbuch "Oktorberfest. Ein Attentat" begründete
Zweifel an der offiziellen Wahrheit an. Chaussy hat die Tat und die
Arbeit der Ermittler rekonstruiert. Am Ende ist klar: Die Einzeltäter-Theorie
lässt viele Fragen offen, das Wiesn-Attentat ist bis heute ungeklärt.
Mehrere Zeugen hatten unabhängig von einander Köhler mit mehreren
anderen Personen noch kurz vor der Explosion am Tatort gesehen. Von zwei
Männern in Parkas ist die Rede, mit denen er auf der Verkehrsinsel vor
dem Haupteingang der Oktoberfest-Wiese debattiert habe, auch von einem
Mann, der im Moment der Explosion geflüchtet sei; dann das merkwürdige
Gespräch, das eine Frau nach dem Anschlag in Tatortnähe mitgehört
hat. "Ich wollt's nicht, ich kann nichts dafür, bringt's mich um.
Und wo ist der Koffer, den Köhler angeblich mit sich hatte? So manche
Spur, so manche Zeugenaussage findet sich im Schlussbericht des
Generalbundesanwalts überhaupt nicht wieder. Chaussys Fazit lautet:
"Entgegen der allgemeinen Meinung ist der Fall Oktoberfestattentat
ungelöst."
Ulrich Chaussy hat in seinem Buch dargelegt, dass die Ermittler von
einem bestimmten Zeitpunkt an bemüht waren, Köhler als Einzeltäter
hinzustellen. Ob sie dabei Einflüsterungen aus der Politik folgten?
Nachweisbar ist es nicht. Er habe nichts, was in diesem Zusammenhang
"tauglich für eine Verschwörungstheorie wäre", sagt Chaussy
in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. "Doch eines gibt
es immer wieder, und man konnte es bei den Verfahren gegen diverse
Brandstifter in Asylantenheimen beobachten: Während man
Linksterroristen stets rationales Planen und gezieltes Handeln
unterstellt, heißt es bei Rechtsterroristen, sie handeln emotional, aus
dem Bauch heraus, und es gebe keine Beziehung zwischen Anstifter und Täter.
Es war dann einer, dem die Sicherung durchgebrannt ist, und man
interessiert sich nicht für den Hintergrund."
Auch der Münchner Rechtsanwalt Werner Dietrich, der im Auftrag von
Attentatsopfern für eine Wiederaufnahme der Ermittlungen kämpfte, hält
die These vom verzweifelten Einzeltäter für unglaubwürdig.
"Bewusst oder unbewusst wurden alle Spuren und Zeugenaussagen, die
der Einzetätertheorie widersprechen, nicht richtig gewürdigt oder
beiseite geschoben.". Die Einzeltätertheorie hält Dietrich für
ein "politisch erwünschtes Ermittlungsergebnis, damit kein
Zusammenhang zwischen Köhler und anderen rechtsradikalen Personen und
Strukturen nachgewiesen wird". Denn das hätte die CSU stark in
Bedrängnis bringen können und bestätigt:"Alte und neue Nazis
sind gerade in Bayern viel zu lange falsch eingeschätzt oder
verharmlost worden." So sagte beispielsweise Bayerns Innenminister
Gerold Tandler noch im Januar 1980, die Wehrsportgruppe Hoffmann sei
"nicht eine gefährliche Organisation im eigentlichen Sinne"
und ihre Mitglieder seien "halbverrückte Spinner".
Dietrichs Antrag auf Wiederaufnahme der Ermittlungen wurde abgelehnt. So
bleibt bis heute ungeklärt: Gab es Mittäter, Auftraggeber, Hintermänner?
(boa München, quellen: az, sz, Münchner Lokalberichte, boa-Archiv)
* * *
Für den heutigen 20. Jahrestag des Wiesenattentats ruft in München ein
breites Bündnis von über 70 Organisationen zum Protest auf, der unter
dem Motto steht: "Aufstehen! Gegen Nazi-Terror, Rassismus und
Antisemitismus". Beteiligen wollen sich zahlreiche Überlebende des
Attentats sowie Gewerkschaften, die Münchner Sportjugend, das Bündnis
gegen Rassismus, Antifa-, Menschenrechts-, Friedens-und Kirchengruppen.
- München -
Di.26.09.2000
20. Jahrestag des Oktoberfest-Attentats
"Aufstehen gegen Naziterror,
Rassismus und Antisemitismus"
Mahnwache / Demonstration / Kundgebung / Konzert
Ab 10:00
Mahnwache am Mahnmal des Oktoberfest-Attentats
Haupteingang Theresienwiese
17:00
Auftaktkundgebung am Mahnmal an der Theresienwiese
Anschließend Demonstration zum Marienplatz
18:30, Marienplatz
Abschlusskundgebung und Konzert gegen Rechts
mit Konstantin Wecker, Wally Warning and friends,
Nizza Thobi und anderen.
Nachtrag am 27.09.2000:
Gegen Gewalt von Rechts haben gestern auf dem Marienplatz in München 7
000 Menschen demonstriert, vermeldet die Münchner Abendzeitung in ihrer
heutigen Ausgabe.
http://mitglied.tripod.de/~agjgdonaueschingen/materialien/neofa.html
Trotz diese eher konservativen Orientierung scheute Frey nicht vor
Kontakten mit militanten Neonazis zurück, unter anderem mit Thies
Christophersen, dem Verfasser des Buches „Die Auschwitz-Lüge“
und mit Karl-Heinz Hoffmann, dem Anführer der
„Wehrsport-Gruppe Hoffmann“, deren Mitglied Gundolf Köhler
1980 das Oktoberfest-Attentat verübte. Diese Kontakte schadeten Frey
bei der DVU-Mitgliedschaft, die meist älter ist und aus Menschen
besteht, denen die Existenz der Frey-Blätter genügt und die ihren
Beitrag bezahlen, ansonsten aber ruhig bleiben.
http://www.o-fest.de/deutsch/news/09_26bombenanschlag.html
Trauriges
Jubiläum: 20 Jahre nach Bombenanschlag
26.09. - Mölln, Solingen und Dessau
stehen im In- und Ausland als Symbole für tödliche Anschläge von
Rechtsextremisten auf Ausländer in Deutschland. Doch bereits vor
nunmehr 20 Jahren sorgte der Anschlag eines Neonazis auf das größte
Volksfest der Welt nicht nur in der damaligen Bundesrepublik für
Entsetzen.
Der Abend des 26. September 1980: Mitten im größten
Wies'n-Trubel detoniert in einem Abfalleimer eine Bombe. 13 Menschen -
unter ihnen fünf Kinder und Jugendliche - werden bei dem bis heute
schwersten terroristischen Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik
getötet, 210 weitere erleiden teilweise schwerste Verletzungen.
Wo kurz zuvor noch Menschen ausgelassen gefeiert
hatten, gellen gegen 22.20 Uhr plötzlich Angst- und Todesschreie durch
die Nacht. Nach der Explosion der britischen Mörsergranate mit 1,39
Kilogramm TNT liegen in einem Umkreis von 30 Metern zerfetzte Körper,
abgetrennte Gliedmaßen und Leichen.
Die Wirkung der Bombe ist verheerend: Insgesamt
fast 450 Einzelteile müssen aus den Körpern der Opfer entfernt werden.
Eine junge Frau kommt mit dem Leben davon, sie muss aber in den nächsten
zehn Jahren 35 Operationen über sich ergehen lassen, damit sie
wenigstens halbwegs wieder laufen kann. Ein 17 Jahre alter
Automechaniker verliert bei dem Anschlag beide Beine.
Zunächst richten sich die Ermittlungen der
Bundesanwaltschaft gegen «Unbekannt», doch schnell gilt der überzeugte
Rechtsextremist Gundolf Köhler als Urheber des Infernos, das auch ihn
das Leben kostete. Der erst 21 Jahre alte Geologie-Student aus
Donaueschingen, früherer Anhänger der dann verbotenen
rechtsextremistischen «Wehrsportgruppe Hoffmann», hatte den Sprengsatz
«gebaut, ihn zum Tatort gebracht und dort gezündet», wie die
Bundesanwaltschaft bei der Einstellung der Ermittlungen mitteilte.
In voller Gänze und eindeutig wurde das Attentat
nie aufgeklärt: War der Rechtsextremist Köhler Einzeltäter, in
vollkommen eigener Regie? Hatte er Mitwisser, hatte er Helfer? Handelte
er im Auftrag anderer, möglicherweise gar im Auftrag von
Rechtsextremisten? Auch für die Ermittler blieben bei der Einstellung
des Verfahrens zwei Jahre nach dem Anschlag viele Fragen offen: «Ein
hinreichender Tatverdacht gegen andere Personen hat sich nicht ergeben»,
hieß es damals in einer vier Seiten langen Erklärung. Doch dass der
Rechtsextremist Mittäter gehabt habe, könne auch nicht ausgeschlossen
werden. Hinweise auf mögliche rechtsextremistische Vereinigungen «zum
Tatgeschehen» ergaben sich jedoch auch nicht.
Selbst das genaue Motiv des Anschlags wurde nie
geklärt: Die Tat könne «sowohl auf eine schwere Persönlichkeitskrise
als auch auf Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen» zurückzuführen
sein, befand die Bundesanwaltschaft.
Nach dem Anschlag wurde das größte
Volksfest der Welt für einen Tag geschlossen, dann lief der Betrieb in
Zelten und Fahrgeschäften wieder auf Hochtouren. 20 Jahre später
erinnert noch immer ein Mahnmal an das Inferno: Immer frische Blumen an
der Gedenktafel zeugen davon, dass das schreckliche Geschehen trotz
allen Trubels noch längst nicht vergessen ist. (dpa/er)
http://www.sueddeutschezeitung.de/oktoberfest/chaussy.html
SZ
vom 27.09.2000
Der
dubiose Zeuge
Buchautor Ulrich Chaussy zur Frage, warum er die offizielle
Einzeltäter-Theorie bezweifelt
|
Der
Journalist Ulrich Chaussy hat in seiner Rede zum 20. Jahrestag des
Wiesnattentats erneut Zweifel an den offiziellen
Ermittlungsergebnissen angemeldet. Die behördliche Version,
Gundolf Köhler habe als sexuell frustrierter, unpolitischer
Einzeltäter gehandelt, ist Chaussy zufolge alles andere als überzeugend.
Chaussys Gegenermittlungen finden sich auf dem Hörbuch
„Oktoberfest-Attentat“, das soeben im Verlag „HörbuchHamburg“
erschienen ist. Mit Chaussy sprach Wolfgang Görl.
SZ:
Herr Chaussy, was war der Anlass, dass Sie den offiziell
abgeschlossenen Fall nochmals aufgerollt haben?
Chaussy:
Ich hatte für den Rundfunk von einer Versammlung des Anwalts der
Opfer berichtet. Die Folge dieses Berichts im BR-Abendjournal war,
dass mir wesentliche Teile der Ermittlungsakten zugespielt worden
sind.
Und darin sind Ihnen Ungereimtheiten aufgefallen?
Ich war überrascht, welche Fülle von Ansatzpunkten die Behörden
hatten, um die Ermittlungen ergebnisoffen zu gestalten. In der
Anfangsphase war man auch offen. Doch bereits im November 1980 hat
man eine andere Richtung eingeschlagen. Damals war erkennbar, dass
man einen bestimmten Freund aus Köhlers Kreis zum vertrauenswürdigsten
Gewährsmann erklärt hat.
Was ergab sich daraus?
Die Theorie über die Persönlichkeit des Täters fußt nur auf
den Angaben dieses Zeugen, im Widerspruch zu anderen Angaben. Das
war ein Zeuge, der über einen Monat lang die Behörden hinters
Licht geführt hat; der mit Köhler in die Schweiz gefahren ist,
um Waffengeschäfte aufzusuchen.
Keine
Verschwörungstheorie
Der hatte Angst, dass er wegen der Nichtanzeige einer
geplanten Straftat selbst belangt wird. Dass dieser Zeuge nun
sagte, mit Extremismus, mit Politik hatte das nichts zu tun, kann
ich verstehen. Aber ich kann nicht verstehen, dass die Behörden
auf diesen Mann gesetzt haben.
Warum dieser merkwürdige Eifer der Behörden, Gundolf Köhler
als Einzeltäter hinzustellen?
Also ich habe nichts, was tauglich für eine Verschwörungstheorie
wäre. Nichts von der Art eines großen politischen Zampanos, der
die Ermittler vergattert. Doch eines gibt es immer wieder, und man
konnte es bei den Verfahren gegen diverse Brandstifter in
Asylantenheimen beobachten:
Während man Linksterroristen stets rationales Planen und
gezieltes Handeln unterstellt, heißt es bei Rechtsterroristen,
sie handeln emotional, aus dem Bauch heraus, und es gebe keine
Beziehung zwischen Anstifter und Täter. Es war dann einer, dem
die Sicherung durchgebrannt ist, und man interessiert sich nicht für
den Hintergrund.
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